Ich komme gerade aus einem Coaching mit einer Bereichsleitung. Und sie sagte zu mir: „Ich habe jetzt auch ChatGPT ausprobiert. War gar nicht so schlimm.“ Herzlichen Glückwunsch – willkommen im Jahr 2025.
Ein Jahr, in dem die digitalen Hemmschwellen niedriger sind als die emotionalen. In dem Menschen KI besser beherrschen als ihre eigenen Gefühle. Das klingt zynisch. Es beschreibt einen Trend für mich, der mir zunehmend begegnet.
Die Menschen perfektionieren Prozesse, sie optimieren ihre Sprache. Jedoch scheinen sie nicht mehr zuzuhören. Menschen schauen lieber auf Dashboards als in die Gesichter Ihrer Mitmenschen. Sie checken Stimmungsbarometer – und spüren keine Stimmung. In einer Organisation, die ich seit längerem begleite, wurde ein KI-gestütztes Feedback-Tool eingeführt. Es analysiert automatisch Teamstimmungen: grün, gelb, rot – wie eine Ampel. In einer Besprechung sagte die Führungsperson: „Die Stimmung liegt laut Tool bei 78 Prozent positiv.“
Stille.
Bis eine Mitarbeiterin leise anmerkte: „Ich fühle mich ehrlich gesagt damit überfordert – aber das Tool erkennt das wohl nicht, weil ich meine Mails immer nett formuliere.“
Und genau da beginnt mein Thema. KI ist nicht das Problem. Sie verstärkt nur, was ohnehin da ist. Wenn eine Führungsperson Konflikte vermeidet, bietet KI jetzt eine perfekte Ausrede: „Ich vertraue den Zahlen.“ Doch Führung beginnt und endet nicht im Prompt.
Führung beginnt im Kontakt. Und in der Haltung. In der Transaktionsanalyse nennen wir die Ausrede der Führungsperson auch Passivität. Wenn Menschen Verantwortung abgeben – nicht nur für Aufgaben, sondern für ihre Haltung, für ihr Erwachsenen-Ich. Dann wird das System zum Schutzschild. Und KI zur Legitimation, sich nicht mehr spüren zu müssen oder in den Kontakt mit den Mitarbeitenden zu gehen.
Mein Blick als Coach und Supervisor auf diese Situation?
Wir könnten uns fragen, was wir stärken wollen. Unsere technischen Systeme? Oder unsere ethische Urteilskraft? Unser Wissen? Oder unsere Intuition? Und ja, ich weiß: Die Technik entwickelt sich schneller, als viele ihre Haltung dazu.
Deshalb frage ich des Öfteren im Coaching: „Was würde das Erwachsenen-Ich jetzt sagen, wenn die KI nicht als Schutzschild genutzt würde?“ Das verändert etwas. Denn plötzlich geht es nicht mehr um Output, sondern um Bewusstheit.
Ich glaube: Die größte Gefahr der KI ist nicht, dass sie uns ersetzt. Sondern, dass wir uns selbst bereitwillig ersetzen lassen – um effizienter zu wirken. Ich wünsche mir Menschen auf den Führungsebenen, die den Mut haben, das anders zu machen. Die sich bewusst fragen:
- Was spüre ich gerade – jenseits der Daten?
- Was braucht mein Gegenüber – jenseits der Effizienz?
- Welche Form der Anerkennung (Stroke) fehlt uns im Team?
Menschlichkeit ist nicht programmierbar; doch sie ist entscheidbar. In diesem Sinne: Bleiben wir in Beziehung. Zu uns selbst. Und zu den anderen. Was braucht es in einer Organisation, um genau das zu stärken? Ich freue mich auf den Austausch – auch ganz ohne KI.